Cringe vermeiden, Vertrauen gewinnen: Wie echte Kommunikation Marken stärkt.
Cringe vermeiden, Vertrauen gewinnen
Glaubwürdige Markenkommunikation in Unternehmen: So vermeiden Sie häufige Kommunikationsfehler.
BLOG / SEPTEMBER 2025 / NR.1 / NEWS + KOMMUNIKATION
SMD-Redaktion
»Cringe«, das klingt nach Jugendwort, TikTok oder Peinlichkeitsmomenten im Familienchat. Doch wer glaubt, das Thema sei auf Social Media begrenzt, irrt. In Wirklichkeit berührt es einen der zentralen Werte jeder Kommunikation: Authentizität. Wenn Kommunikation heute »cringe« wirkt – also auf eine Art peinlich oder unangenehm – dann liegt das selten am Kanal, sondern an einer Diskrepanz: Zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was gemeint ist. Zwischen Ton und Haltung.
Das betrifft Einzelpersonen ebenso wie Organisationen. Und es betrifft nicht zuletzt: Führung.
Vom Cringe zur Corporate Voice
Auch in unseren eigenen Projekten sehen wir, wie nah das Thema an die Substanz von Marken reicht. Denn ob ein Vorstand in einem Interview spricht, ob Mitarbeitende über ihre Arbeit posten oder ob eine Unternehmensmeldung nach außen geht – immer steht die Glaubwürdigkeit der Marke auf dem Spiel. Da sich KI-generierte Inhalte in Lichtgeschwindigkeit verbreiten lassen, ist – vielleicht zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit – die Notwendigkeit von Echtheit ins Zentrum der Unternehmenskommunikation gerückt. Nicht im Sinne einer inszenierten Authentizität, wie sie in Personal Branding-Ratgebern gerne angepriesen wird, sondern als strategische Fähigkeit, die Vertrauen herstellt – und hält.
Anatomie des Cringe: Die fünf häufigsten Kommunikationsfallen
1. Der Jugendwahn
»Hey Community! 🔥 Heute droppen wir mal wieder einen krassen Content-Bomb! No Cap – unser CEO ist einfach der GOAT!«
Wenn der 55-jährige Maschinenbau-Geschäftsführer plötzlich wie ein TikTok-Influencer kommuniziert, entsteht nicht Nähe, sondern Fremdscham. Das Problem liegt nicht im Alter, sondern in der mangelnden Kongruenz. Jugendsprache funktioniert nur, wenn sie zur DNA des Unternehmens passt – oder wenn sie bewusst ironisch gebrochen wird.
Die Lösung: Bleiben Sie bei Ihrer sprachlichen DNA, aber öffnen Sie sich für neue Formate. Ein traditionsreiches Unternehmen kann durchaus auf TikTok präsent sein – aber mit seiner authentischen Stimme, nicht mit geklauter Teenager-Sprache.

2. Das Purpose-Theater
»Wir machen die Welt zu einem besseren Ort« steht heute auf gefühlt jeder zweiten Unternehmens-Website. Vom Kreditinstitut bis zum Industriereiniger – alle retten sie das Klima und kämpfen für soziale Gerechtigkeit.
Das Problem: Viele dieser Purpose-Statements sind reine PR-Konstrukte ohne operative Konsequenz. Menschen haben ein feines Gespür für hohle Phrasen entwickelt. Sie prüfen kritisch nach: Zahlt das Unternehmen Steuern in Briefkastenfirmen? Wie behandelt es seine Mitarbeitenden? Stimmen Werte und Verhalten überein?
Die Lösung: Definieren Sie Ihren Purpose nicht nur im Marketing-Workshop, sondern leiten Sie ihn aus Ihrem tatsächlichen Geschäftsmodell ab. Ein Automobilzulieferer muss nicht das Klima retten – aber er kann transparent über seine Bemühungen um nachhaltigen Stahl kommunizieren.

3. Die Empathie-Falle
▹ »In diesen schwierigen Zeiten...«
▹ »Wir verstehen Ihre Sorgen...«
▹ »Als verantwortungsvolles Unternehmen...« –
Sätze wie diese sind zu Phrasen verkommen. Sie klingen nach Kommunikationsberatung, nicht nach echter Anteilnahme.
Besonders perfide: Unternehmen, die in Krisen ihre Werbebotschaften nur leicht umformulieren und dabei »empathisch« wirken wollen. »Jetzt erst recht Premium-Qualität!« während der Pandemie zu bewerben, ist nicht nur geschmacklos, sondern enthüllt die wahren Prioritäten.
Die Lösung: Zeigen statt sagen. Statt über Empathie zu reden, handeln Sie empathisch. Konkrete Hilfsangebote wirken glaubwürdiger als emotionale Betroffenheitslyrik.
4. Der Expertenbluff
▹ »Unsere KI revolutioniert die Branche!«
▹ »Wir sind führend in der digitalen Transformation!«
▹ »Als Innovationsführer...« –
Superlative sind die Früchte niedrig hängender Kommunikationsbäume. Sie klingen beeindruckend, sagen aber nichts aus.
Das Internet ist gnadenlos beim Faktenchecken. Kundinnen und Kunden oder Konkurrenten können heute in Sekunden prüfen, ob Ihre Expertise real ist oder nur behauptet. Geplatzte Expertenblasen hinterlassen nachhaltige Reputationsschäden.
Die Lösung: Werden Sie spezifisch. Statt führend zu sein, erklären Sie, worin genau Ihre Stärke liegt. Statt über Innovation zu reden, zeigen Sie konkrete Entwicklungen. Echte Expertise spricht eine andere Sprache als Marketing-Sprech.
5. Das Demokratie-Paradox
▹ »Was denkst du?«
▹ »Teile deine Meinung!«
▹ »Lass uns diskutieren!« –
Viele Unternehmen fordern Dialog, sind aber nicht auf echte Diskussion vorbereitet. Sie wollen Engagement, aber nur das richtige. Kritische Stimmen werden gelöscht, unbequeme Fragen ignoriert.
Diese Scheinteilhabe ist besonders toxisch, weil sie Nähe vortäuscht, aber Distanz schafft. Menschen merken schnell, wenn ihre Beteiligung nur Show ist.
Die Lösung: Entscheiden Sie sich bewusst für oder gegen Dialog. Wenn Sie ihn wollen, bereiten Sie sich auf echte Diskussion vor – inklusive Kritik. Wenn nicht, kommunizieren Sie einseitig, aber transparent.
Die neue Glaubwürdigkeitsprüfung
Die Generation Z hat ein anderes Verhältnis zu Marken entwickelt. Sie ist mit Werbung aufgewachsen, die sie als solche erkennt und durchschaut. Ihre »Cringe-Sensibilität« ist ein Frühwarnsystem für kommunikative Inauthentizität.
Drei Fragen, die diese Generation unbewusst stellt:
- Stimmt das überhaupt?
Faktencheck in Echtzeit durch Google, Social Media und Bewertungsplattformen. - Glauben die das wirklich?
Abgleich von Kommunikation und beobachtbarem Verhalten. - Bin ich gemeint oder bin ich nur Marketing-Zielgruppe?
Unterscheidung zwischen echtem Dialog und inszenierter Nähe.
Praktische Anti-Cringe-Strategien für Führungskräfte
- Sprechen Sie in Interviews so, wie Sie auch intern sprechen
- Vermeiden Sie Berater-Deutsch und gruseliges Buzzword-Zeugs
- Stehen Sie zu Ihren Grenzen – Unwissen ist menschlicher als Scheinwissen
Für Social Media
- Entwickeln Sie eine authentische Tonalität statt Trends hinterherzulaufen
- Zeigen Sie echte Einblicke statt inszenierte Perfektion
- Reagieren Sie auf Kritik professionell, nicht defensiv
Für Unternehmensmeldungen
- Schreiben Sie für Menschen, nicht für Maschinen oder Journalisten
- Erklären Sie komplex, aber verständlich
- Vermeiden Sie Floskeln – sie entlarven sich selbst
Der Authentizitäts-Algorithmus
Authentische Kommunikation folgt einem einfachen Algorithmus:
Substanz × Konsistenz × Nahbarkeit = Glaubwürdigkeit
Fehlt eine Komponente, bricht das System zusammen.
- Substanz ohne Konsistenz ist unberechenbar.
- Konsistenz ohne Nahbarkeit ist kalt.
- Nahbarkeit ohne Substanz ist oberflächlich.
Fazit: »Cringe« als Kompass
Das Cringe-Gefühl ist ein demokratisches Qualitätssiegel geworden. Es entsteht, wenn Menschen spüren, dass sie manipuliert statt respektiert werden. Wenn Form und Inhalt nicht übereinstimmen. Wenn Kommunikation mehr über den Sender als über das Thema aussagt.
Unternehmen, die das verstehen, haben einen entscheidenden Vorteil: Sie können ihre Kommunikation an einem sehr präzisen menschlichen Sensor testen. Die Frage ist nicht mehr: »Wie kommt das beim Kunden an?« Die Frage ist: »Ist das cringe?«
Wer Echtheit anbieten kann, gewinnt nicht nur Aufmerksamkeit, sondern Vertrauen. Und Vertrauen, das wissen wir seit Jahrhunderten, ist die beste Währung im Geschäft zwischen Menschen. Oder anders gesagt: Authentizität ist das einzige Kapital, das sich durch Teilen vermehrt.
Warum wir darüber schreiben
In der Markenentwicklung erleben wir täglich den Moment, in dem Unternehmen vor der Entscheidung stehen: Sagen wir, was alle sagen – oder finden wir unsere eigene Stimme?
Besonders bei B2B-Marken, mit denen wir hauptsächlich arbeiten, ist diese Frage existenziell. Denn hier entscheiden weniger Emotionen, sondern Vertrauen, Kompetenz und Verlässlichkeit über Geschäftsabschlüsse – und nichts zerstört diese Faktoren schneller als unglaubwürdige Kommunikation.
Wir sehen, wie Mittelständler zwischen Modernisierungsdruck und Authentizitätsanspruch navigieren müssen. Wie sie KI nutzen wollen, ohne ihre Seele zu verlieren. Wie sie jung wirken möchten, ohne lächerlich zu werden.
Diese Beobachtungen haben uns zu der Überzeugung gebracht: Die wichtigste Frage in der Markenkommunikation ist nicht mehr »Wie werden wir gesehen?«, sondern »Wie bleiben wir echt?«.