Ist »Fake« das neue »Echt«?


Ist »Fake« das neue »Echt«?

Ist »Fake« das neue »Echt«?

BLOG / DEZEMBER 2021 / NR.1 / KOMMUNIKATION
Meinung von SMD-Gastautor und Uhrenblogger, Bernhard Strohm
Bildrechte, B. Strohm


Ist »Fake« das neue »Echt«?
Wie bei Medien und Ver­brau­chern die Grenzen zwischen wer­ti­ger Marke und billiger Fäl­schung ver­schwimmen.

Samstagabend zur besten Sende­zeit im deutschen TV.
Auf der Büh­ne, singende junge Men­schen, be­klei­det mit allem, was die inter­na­tio­na­le Modewelt so in die Edel­bou­ti­quen liefert: Valentino, Desquared2, Balenciaga

Ein Sweatshirt für 1.200,– Euro, ein Hoodie für 800,– Euro oder ein Jog­ging­an­zug für schlappe zwei­ein­halb. Dazu der Sammler-Turn­schuh für einen Tausender und die gut sichtbare Rolex, für die man 36.000,– Euro auf die Ladentheke des Ju­we­liers blättern müsste – wenn sie denn lieferbar wäre.

Das was sich hier rhythmisch auf der Bühne zum Halbplayback be­wegt sind keine Superstars aus fer­nen Landen, sondern hoff­nungs­vol­le »Talents« aus Bonn, Ber­lin und Bitterfeld.

16–25-jährige Re­call-Teil­neh­me­r:in­nen, die in der Rubrik »Be­rufs­wunsch« des Be­wer­bungs­bo­gens mehr­heit­lich »Influencer:in« ver­merkt ha­ben. Die Älteren kennen diese Jobbeschreibung noch als »Mar­ken­bot­schaf­ter:in«.

Die Marken pran­gen bei vie­len be­reits gut sichtbar für Kamera und Zuschauer auf dem Beinkleid, doch es bleiben erhebliche Zweifel an der Originalität der Ware.

Anscheinend kein Grund für die Produktionsfirma mal nach­zu­fra­gen oder einen Klei­dungs­wech­sel zu fordern. Während der (zurecht) aus der Sendung ver­bann­te Juror groß­flächig verpixelt wird, darf der ver­meint­lich edle Zeit­mes­ser wei­ter­hin gut sichtbar die Mikrofon-Hand des Sängers schmüc­ken. Das Fake ist endgültig in der Mitte der Gesell­schaft an­ge­kom­men.

War das Unechte, das Plagiat, vor Jahren noch ein Stigma der sozial Benachteiligten, so wird die Fäl­schung in einer breiten Be­völ­ke­rungs­schicht zu­min­dest geduldet. Die Ausrede für eine steigende Akzeptanz ist schnell zur Hand. Es wird von »über­teu­er­ter Mar­ken­wa­re« geplappert, von Luxus, den sich nur noch »die da oben« leis­ten kön­nen.

Warum ein Hundertfaches für etwas ausgeben, das ich in an­geb­lich glei­cher Qua­li­tät auch schon für einen Zehner im Hin­ter­zim­mer des Im­por­teurs mei­nes Vertrauens kaufen kann?

Auch die Kundschaft, die sich ein Original leisten könnte, hat schnell eine Recht­fer­ti­gung zur Hand. Es sei ja »nur« für die Kinder, die in dem Alter doch so schnell aus den Kla­mot­ten rauswachsen. Das ma­chen doch alle so und jeder weiß doch, dass es sich nicht um das Ori­gi­nal handelt. Und a­lleine des­halb be­nach­tei­lige man ja auch nie­man­den. Dann ist ja gut, wenn’s alle wis­sen und alle so machen. Und reich werde man schließlich vom Spa­ren und nicht vom Geld ausgeben. Und die Mar­ken­her­stel­ler – die verdienen ja so­wie­so genug … not­falls an den an­deren.

Fake ist billig – und billig ein­kau­fen ist clever – und Geiz ist halt immer noch ein bisschen geil.

In den letzten Jahren haben wir alle dafür gesorgt, dass die Gren­zen zwischen echt und unecht, dem Original und der Fälschung immer weiter verschwimmen.

Wie selbstverständlich greifen wir im Discounter zum »Me-Too«-Pro­dukt. Oft vom Her­stel­ler des Ori­gi­nals ab­ge­füllt, kapi­tu­liert hier die Marke vor dem Preis: Das Ori­gi­nal, das sich selbst nach­ahmt, um auch die Preis­wert-Nische nicht an die Kon­kur­renz ab­zu­geben.

Und diese Nachahmungen sind zu­mindest die kleinen Cousinen der Fälschungen. Was haben wir nicht für Beschönigungen im Verkaufs-Repertoire!
In der Mode sprechen wir von »Zi­ta­ten« eigener oder fremder Kol­lek­tio­nen. Von »Anleihen« an die Gro­ßen der Zunft. In der Welt der Lu­xus­uh­ren wim­melt es von »Hom­ma­gen«, Zeit­mes­sern, die dem Ori­gi­nal ver­blüf­fend ähnlich sehen, aber einen phan­ta­sie­vol­len Eigen­na­men tra­gen.

Wie man beim Dieb­stahl von Design und Tech­nik den Be­stoh­le­nen noch gleich­zei­tig »ehren« kann, ist mir ein echtes Rätsel. Vor­bei die guten alten Zei­ten, in de­nen uns Oma noch mit Weis­hei­ten wie »nach­ge­macht? – aus­ge­lacht!« auf den rechten Pfad der Un­ver­sehrt­heit geis­ti­gen Eigen­tums führ­te.

Das gerne angeführte und nie be­leg­te Argument, dass billige Nach­ah­mun­gen die »Ein­stiegs­dro­ge« zum teuren Original seien, klingt für die Marken­rechte-In­ha­ber nach glat­tem Zynismus.

Auch ist es kein Zeichen von aus­ge­präg­tem Marken­be­wusst­sein, sich im Urlaub eine ge­fälsch­te Rolex beim Strand-Kon­zes­sio­när zu be­sor­gen ... als Ferienuhr ... damit das Ori­ginal im Hotel­tresor bleiben kann...

Diesem Verhalten zuträglich ist übri­gens auch die in Deutsch­land gelten­de gesetz­liche Re­ge­lung, dass die Einfuhr und der Besitz von gefälschten Waren nicht straf­bar ist. So darf ich auch deutlich als unecht er­kenn­ba­re Urlaubs­mit­bring­sel bis zu einem Wert von 430,– Euro – aus­schließ­lich für den Eigenbedarf – in die Heimat einführen. Die Frage sei erlaubt: Warum??

Die Grauzone zwischen Fake und Original wird immer breiter. Al­lei­ne die Unter­schei­dung in schlech­te und gute Fälschung ist eine Frech­heit. JEDE Fälschung ist eine Straf­tat. Und nein, nur weil wir Ot­to-Nor­mal­ver­brau­cher:innen das Echte nicht vom Falschen un­ter­schei­den können, ist das noch kein Beweis für man­geln­de Qua­li­tät oder Über­teu­e­rung des Ori­gi­nals. Attribute, die bei Luxus­gü­tern meist schwer zu de­fi­nie­ren sind.

Die Akzeptanz des nicht ganz so Echten wird tatkräftig von un­se­rem sozialen und politischen Umfeld un­terstützt. Wir haben gelernt mit »al­ter­nativen Wahr­hei­ten« zu leben, warum sollte es also nicht auch al­ter­na­ti­ve Marken­produkte geben? Zumal das Logo schön präsent da­rauf­steht. Was drin ist? Wer schaut denn schon so genau hin? Und wol­len wir das überhaupt wissen? Durch die »preis­wer­ten Al­ter­na­ti­ven« können sich schließ­lich alle den so er­sehn­ten Luxus leisten. Welch schöne Vor­stel­lung.

Mit dem kleinen Fehler, dass wir damit nicht nur den Luxus für we­nige, sondern die Mar­ken­si­cher­heit für alle abschaffen. Denn Mar­ken stehen auch für geis­tige Leis­tung, In­ves­ti­tion, Kom­pe­tenz und Qua­li­tät. Wo keine Marke mehr, da auch kein Mar­ken­pirat. Kein Ori­gi­nal, das es zu fälschen gibt. Nur Ein­heits­brei und (wenn wir Glück haben) Mit­tel­maß.

Solange wir mehr Kreativität in Aus­re­den als in die Markenpfle­ge stec­ken, solange es den Mar­ke­ting­fach­leu­ten nicht gelingt, Qua­li­tät und Leistung zu ar­gu­men­tie­ren – so­lan­ge wird »billig« das belieb­tes­te USP auf dem Markt sein.

Das einzig wirkungsvolle Mittel ge­gen Nachahmer sind die Vor­den­ker. Die Wei­ter­entwickler und Neu­er­fin­der. Die Kreativen, die einen Mar­ken­kern so exakt und kunden­orien­tiert heraus­ar­bei­ten, dass der Fäl­scher immer hinter­her­hinkt. Dabei unter­stützt von den Medien, die Fäl­schun­gen und Nachahmern keine Platt­form bie­ten dür­fen.

Der neue Luxus muss es sein, ein Original zu besitzen, bei dem sich alle sicher sein können, dass es wirklich ein Original ist.

Die neue Botschaft lautet: Eine Fäl­schung ist eine Fäl­schung ist eine Fälschung – Fakes are for fake people!

Geteilte Freude ist die schönste Freude

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