Echte Fehlerkultur oder warum Fehler Glück bringen
Echte Fehlerkultur oder warum Fehler Glück bringen
Was ist denn so falsch an unseren Fehlern?
BLOG / JUNI 2020 / NR.1 / KOMMUNIKATION
Kolumne von SMD-Redaktion
Wir wissen ja gar nicht, wie viel Glück wir hatten! Um ein Haar stünde heute in jedem zweiten Haushalt ein Radargerät. Das wollte Percy Spencer eigentlich verbessern, als er völlig ungeplant die Wirkung von Mikrowellen auf Lebensmittel entdeckte. So können wir heute zwar aus der Küche heraus nicht den Flugverkehr koordinieren, dafür aber schnelles Popcorn zubereiten. Ich sag's ja, Glück gehabt.
Zu erwähnen wäre hier auch der Herzschrittmacher oder das Dynamit, das Teflon oder die blaue Pille namens Viagra, die bei ihrer eigentlich vorgesehenen Aufgabe der Blutdrucksenkung bitterlich versagt hat. Ist die Geschichte der Menstruation eine Geschichte voller Missverständnisse (Sie merken, hier schreiben Werber), so sind viele Entdeckungen eine Ansammlung von dem, was wir umgangssprachlich »Fehler« nennen.
Es ist also Zeit, genauer darüber nachzudenken, was an einem Fehler so falsch sein soll.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht uns nicht darum eine Kultur des Versagens oder der Unfähigkeit schönzureden und zu verharmlosen. Gemeint ist auch nicht der technische Defekt. Eine Uhr, die aufgrund eines mechanischen Fehlers falsch geht, kann sich nicht mit individuellem Zeitgefühl herausreden. Gemeint ist das Scheitern, das Danebenliegen, das »Da kommt was anderes raus als erwartet«.
Das bekannteste diesbezügliche Ergebnis sind wir selbst, die Menschheit. Eine Jahrmillionen währende Verkettung von Mutationen, Zufällen und Irrwegen, Versuchen und Irrtümern. Der Holzweg der Evolution, der wenigstens biologisch abbaubar ist.
Erinnern wir uns an unsere Kindheit. Damals hatten wir noch die Chance Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Beim Fahrradfahren, beim Bauchplatscher und beim Gummibärchen in die Nase stecken. Die Formel war einfach: Fehler machen Aua – und das galt es zu vermeiden.
Doch nur aus Schaden wird man klug, sprichwörtlich lernt man nur aus Fehlern. Umgekehrt heißt das: Je mehr Fehler und Schaden, desto größer Lernerfolg und Klugheit. Ich war ein sehr kluges Kind ...
Kinder lernen spielerisch, mit Begeisterung, intuitiv und mit einer großen Lust auch mal zu scheitern. Hinfallen, aufstehen und vor Schreck laut lachen. Verhaltensabläufe, die man uns spätestens mit dem Schuleintritt aberzogen hat. Man hat uns in den Sandkasten gesteckt, um zu spielen, nicht um erfolgreich zu sein. In der Schule war's dann irgendwie umgekehrt.
Wer aus Fehlern lernen möchte, der muss sein Verhalten und sein Tun analysieren, sich damit auseinandersetzen, hinterfragen und im besten Fall optimieren. Neuer Versuch, neue Analyse. Aus Erfolgen muss man übrigens nichts lernen, so scheint es. Warum auch, war ja alles richtig, ich habe ja gewonnen. Also lasst uns feiern, auch beim nächsten Mal wird alles gut gehen.
Wir wagen jetzt einmal eine mutige These:
Das Gegenteil von »Fehler machen« könnte auch einfach nur »Glück haben« sein.
Die Golfspieler unter Ihnen wissen es: Bereits in den ersten Trainerstunden gelingt Ihnen einmal der perfekte Schlag. Dürfen Sie deshalb nächste Woche mit Tiger Woods um den Titel kämpfen? Nein, dieser schweineteure Pro zwingt Sie, umso mehr Fehler zu machen. Damit Sie überhaupt erkennen können, wie Ihnen der eine Glückstreffer gelang. Und er für Dutzende weiterer Stunden gebucht wird.
»Erfolg macht träge – Scheitern macht hungrig.«
Wir wissen ja, dass es geht – nur nicht wie. Bereits der nicht ganz unerfolgreiche Thomas Alva Edison musste zugeben: »Ich bin nicht andauernd gescheitert, ich habe bloß zehntausend Wege gefunden, wie es nicht funktioniert«.
In einer modernen Arbeitswelt, die uns ständig vor neue Herausforderungen stellt, ist es ratsam zu wissen, was NICHT funktioniert. Das Umgehen bereits durchlaufener Sackgassen verkürzt den Weg zum Ziel erheblich.
Zahlreiche Analysen und Studien haben herausgefunden, dass wir uns auf dem Weg zum Erfolg durchaus auf unseren Bauch verlassen sollten. Die eigene Intuition ist allemal besser als das halbherzige Nachlaufen fremder Meinungen. Auch wenn uns das Bauchgefühl in die Irre leitet, der konstruktive Umgang mit dem vermeintlichen Fehler fällt uns leichter, wenn wir nur auf uns gehört haben.
Das Zauberwort des New Work heißt »Machen«. Kleine Schritte, kleine Erfolge, kleine Fehler – großer Lerneffekt.
Ein wenig mehr kindliche Neugierde, statt verbissener Perfektionismus. Dabei müssen wir erkennen, dass nicht nur das als »falsch« zählt, was wir dafür halten. Springen Sie über Ihren Schatten und lassen Sie andere Vertrauenspersonen Ihre Arbeit analysieren. Machen Sie deutlich, dass Sie nicht auf Lobhudelei aus sind, sondern auf konstruktive Kritik, dass das was nicht funktioniert auch als solches formuliert wird. Ziehen Sie Rückschlüsse daraus, ändern Sie die Methode oder den Weg und analysieren Sie erneut – gemeinsam.
Es ist erstaunlich, wie leicht wir mit Fehlern (auch den eigenen) umgehen können, wenn wir sie von Emotionen und Personen lösen.
»Wir haben einen Fehler gefunden, den wir zukünftig vermeiden wollen« klingt in aller Ohren netter als »Herr Berlinger, der Depp, hat mal wieder Mist gebaut! Nicht das erste und nicht das letzte Mal.«
Es ist nicht wichtig wer den Fehler gemacht hat, sondern wieso, und wie er zukünftig zu vermeiden ist. Und gerade den letzten Punkt sollten Sie ganz offen im Team kommunizieren. Echte Fehlerkultur praktizieren. Nicht jeder muss jeden Fehler selbst begehen.
Wir brauchen ein neues Denken außerhalb der Schubladen »richtig« und »falsch«. Wir müssen akzeptieren, dass Fehler unvermeidbare und wichtige Zwischenschritte auf dem Weg zum Ziel sind. Und wir sollten uns und den anderen die Chance geben, genau diese Fehler zu machen. Die Reise wird dadurch nicht einfacher, als Wegzehrung eignen sich übrigens Mut und Risiko ganz besonders.
Und, wer weiß, vielleicht ist auch Ihr nächster Fehler in Wirklichkeit eine der größten Erfindungen der Menschheit. So wie einst der Teebeutel oder die Kartoffelchips.
Uns würde das schmecken.