Svenja Hofert | Claudia Thonet
Der agile
Kulturwandel
Mit agilen Methoden zu mehr Sales Power. SMD im Interview mit Buchautorin Claudia Thonet.
BLOG / JANUAR 2022 / NR.2 / KOMMUNIKATION, AGILER VERTRIEB
Aus der Reihe SMD. TALK THE LINE. Meinungen, Trends und Insights.
Unser Interview mit Frau Thonet, Autorin, Lehrtrainerin und Coach über den »Agilen Vertrieb«.
Das Marketing steckt schon seit einigen Jahren in einem echten Veränderungsprozess und wird von den gesellschaftlichen wie technischen Entwicklungen ordentlich gefordert.
Neue Aufgaben, Strukturen und Verantwortlichkeiten – jetzt auch im Vertrieb? Was heißt Transformation für den Sales-Bereich und wie wird das bedacht und diskutiert?
Uns wurde das Buch »Der Agile Kulturwandel« empfohlen, in dem u. a. auch der »Agile Vertrieb« besprochen wird. Das hat uns neugierig gemacht und so haben wir uns dazu direkt an eine der beiden Buchautorinnen gewandt: Claudia Thonet ist gemeinsam mit Svenja Hofert Autorin des Buches »Der Agile Kulturwandel« und seit vielen Jahren verantwortlich für Organisations- und Teamentwicklung im Service und Vertrieb von großen Unternehmen und Konzernen.
Wir haben unser Gespräch an dieser Stelle verkürzt als Interview festgehalten. Den Kern des Ansatzes, Gedanken und nötigen Maßnahmen möchten wir mit Ihnen und Euch teilen. Wer tiefer in das Thema eintauchen möchte – wir stellen gerne einen Kontakt zur Autorin her – oder einfach das Buch lesen…
SMD: Das Thema Agilität stammt ja ursprünglich aus dem IT-Bereich.
Wie sind Sie darauf gekommen, das Thema Agilität aus dem IT-Bereich auf den Vertrieb zu übertragen?
Claudia Thonet: Da ich seit vielen Jahren als Coach und Beraterin im Vertrieb bin, war ich erstaunt, wie wenig agiles Mindset und Methoden im Sales und Service gelebt werden, obwohl es eigentlich genau dort so wichtig und dringlich ist.
Der Vertrieb ist die Brücke zum Kunden und muss ständig wendig und beweglich auf die wechselnden Anforderungen reagieren bzw. heute schon erspüren und übertreffen, was der Kunde morgen erwartet.
SMD: Welchen Vorteil bringt es mit sich, den klassischen Vertrieb auf agil umzustrukturieren?
Thonet: Er wird im wahrsten Sinne beweglicher, kundenorientierter, selbstorganisierter, verantwortungsvoller und perspektivisch erfolgreicher!
SMD: Spätestens jetzt muss man neugierig werden und dranbleiben, wie sich das erreichen lässt.
Kann man eine agile Prozessstruktur aus der IT direkt auf den Vertrieb übertragen?
Thonet: Der Vertrieb hat nicht nur ganz andere Anforderungen zu erfüllen wie die Softwareentwicklung, ihm wohnt auch meist eine andere Kultur inne, die von Wettbewerbsdenken und Einzelzielen mit hohen Provisionen gekennzeichnet ist.
Die Vorstellung, eine »Wir-Kultur« zu etablieren und cross-funktional beispielsweise mit dem Marketing zu kooperieren, ist für viele Sales-Bereiche schon ein Kulturschock. Es gibt in der Anwendung und Umsetzung große Unterschiede, denn Agilität ist niemals eine »One-fits-all-Lösung«. Sowohl das Mindset als auch die Methoden müssen anschlussfähig sein und maßgeschneidert werden.
SMD: Warum dieser Kulturschock für den Sales Bereich? Warum sollte diese lange Jahre optimierte Position denn jetzt neu definiert und angelegt werden?
Thonet: Gestern war der Vertrieb der Jäger – viele Sales Bereiche nennen sich immer noch »Hunter« – der seinem Kunden auflauern und Beute nach Hause bringen sollte.
Heute ist der Vertrieb zur Beute geworden und der Kunde zum Jäger: Der Vertrieb lauert seinem »Kunden-Jäger« noch immer auf, jedoch um ihm möglichst als erste und attraktivste Beute vor die Flinte zu laufen. Das ist ein Paradigmenwechsel und erfordert eine anderes Mindset und völlig veränderte Vorgehensweisen!
SMD: Was heißt das dann in der Umsetzung? Wie organisiert sich diese neue »Wir-Kultur« im Vertrieb?
Thonet: Agiler Vertrieb bedeutet cross-funktionale Teams, die mit möglichst hoher Verantwortung einen Mehrwert für die Kunden schaffen. Diese Teams sind selbstorganisiert und definieren die Verantwortung durch Rollen anstelle von Hierarchien.
Jedes Team hat einen Coach, der auf das »Wie« schaut, und einen Produkt- oder Prozess Owner, der das »Was« im Auge behält. Es wird in kurzen Zyklen mit kontinuierlichem Feedback der Kunden gearbeitet.
Bei der Planung und Umsetzung helfen Frameworks wie Scrum oder Kanban und strategische Zielsysteme wie OKRs (Objectives and Key Results). Für Innovationen werden Design Thinking und insbesondere Customer Journeys genutzt.
SMD: Sie sind ja in vielen Unternehmen unterschiedlichster Größe beratend unterwegs. Spielt die Größe eines Unternehmens bei der Transformation eine Rolle und wie erleben sie den Prozess für den Sales Bereich im Speziellen?
Thonet: Je größer eine Organisation ist, desto mehr braucht es an Skalierungen für die neuen Arbeitsweisen.
Wir empfehlen, klein zu starten als Experiment und dann nach und nach die anderen Teams und Bereiche zu integrieren. Das Ganze wird bestenfalls von einem Transformationsteam als interne Steuerung iterativ gestaltet.
Der Vertrieb – insbesondere der Außendienst – ist oftmals eine besondere Einheit in der Organisation. Er hat mehr als andere Bereiche sein Eigenleben geführt und recht unabhängig seine Ziele verfolgt.
Der klassische Verkäufer war also immer auf Konkurrenz und Wettbewerb gepolt und nicht auf Kooperation und Teamgeist. Dadurch ist die crossfunktionale Zusammenarbeit mit internen Bereichen wie dem Marketing oder der Produktentwicklung für den Vertrieb traditionell weiter weg.
Das zu ändern, benötigt oftmals viel Zeit und manchmal auch eine Menge Geduld.
SMD: Wenn Sie in Unternehmen gehen, begegnet Ihnen dann erst einmal überwiegend Aufbruchsstimmung oder Unruhe wegen möglicher Veränderungen?
Thonet: Sowohl als auch: Bei den langjährigen Mitarbeitern herrscht meist etwas mehr Unruhe als bei den Jüngeren. Die sind oftmals begeistert von den neuen Arbeitsweisen und Chancen, die sich damit für sie ergeben.
SMD: Wer muss Ihrer Meinung nach dann die treibende Kraft sein, um diese Veränderungsprozesse nicht nur anzusprechen, sondern ins kontinuierliche Laufen zu bringen?
Thonet: Ganz klar die Unternehmensführung! Sie agiert bestenfalls als Sponsor und Befürworter, der die Ressourcen zur Verfügung stellt und den Prozess mit allen Höhen und Tiefen trägt.
In Transformationszeiten muss in einem ersten Schritt die Unternehmenskultur an die neuen Anforderungen angepasst werden – und das ist ganz klar eine Führungsaufgabe.
Erst wenn eine Wir-Kultur vom Top-Management aus und gemeinsam mit der gesamten Belegschaft in die Organisation hinein etabliert wurde, kann der Vertrieb mit anderen Abteilungen wie dem Marketing agil und partnerschaftlich arbeiten.
SMD: Also ein Kulturschock und ein neues Mindset, dass nicht der Vertrieb alleine entwickeln muss?
Thonet: Auf keinen Fall! Ein agiler Vertrieb arbeitet interdisziplinär zumindest mit den Schnittstellen wie Marketing und Produktentwicklung zusammen. Es ist entscheidend, dass jeder sein Inseldasein und seine Einzelkämpfermentalität infrage stellt und sich viel mehr mit den anderen Fachbereichen vernetzt. Denn nur so gelingt es, gemeinsam einen Mehrwert für den Kunden und das eigene Unternehmen zu schaffen.
SMD: Frau Thonet. Vielen Dank für dieses Interview und Ihre inspirierenden Ausführungen.
Claudia Thonet ist Lehrtrainerin und Lehrcoach (ECA) und hat jahrzehntelange praktische Erfahrungen in der Organisations- und Teamentwicklung im Service und Vertrieb von großen Unternehmen. Sie bildet Trainer und Moderatoren aus und ist Expertin im agilen Kulturwandel. Gemeinsam mit Svenja Hofert hat sie »Der Agile Kulturwandel« (2019) bei Springer Gabler veröffentlicht. Seit einigen Jahren ist sie Pionierin in der Transformation von Vertriebsbereichen.